Dornen und Schönheit

„Aber eins ist klar: Ich bin kein Atheist. Und ich kann jetzt auch nicht sagen, na gut, das Universum ist irgendwie so etwas Höheres. Nee, ich brauche das konkreter: Mit Maria, Jesus und Gott, mit diesen dreien möchte ich auf alle Fälle weiterleben. Das ist die Hauptsache. Die genaue Differenzierung der drei ist nicht so wichtig, da fängt man schnell an, sich zu widersprechen. Das Wichtige ist jetzt erst mal, dass ich mit ihnen meinen Frieden habe, dass ich wieder Kontakt habe und sie bitten kann, mich vor weiteren Schlägen dieser Art hier zu bewahren. Und dass ich geliebt werden will. Und dass ich mich selbst lieben will. Und dass ich mich nicht mehr bestraft fühlen möchte, weder von anderen noch von mir selbst. Das will ich einfach nicht. Dass ich jetzt Krebs habe, gut, das ist scheiße. Wer da was verbockt hat, weiß ich nicht, warum das so ist, weiß ich auch nicht. Aber es handelt sich nicht um eine Bestrafung, vor allen Dingen nicht um eine Selbstbestrafung. Wenn ich das begreife, kann ich mich auch in die Hände von Jesus, Maria und Gott begeben. Diesen Schritt muss ich für mich gehen. Ich bin nicht stark. Ich will mich lieber fallen lassen. Ich muss nur aufpassen, dass ich mich dabei nicht in diesen schizophrenen Gedankenwald verirre, der auf der einen Seite so angenehm schimmert und auf der andern Seite nur Dornen hat. Denn egal, wie ich mich darin bewege, ich bin immer auf der falschen Seite: Über das Schöne kann ich mich nicht richtig freuen, weil ich immer an die Dornen denke, und wenn ich bei den Dornen bin, dann bleibt nur die Sehnsucht nach dem Schönen.“

Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!


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