Der Kunde als Maulwurfschwein

Ach herrje. Ich muss zugeben, an die Atmosphäre in den ICEs hab ich mich schon fast gewöhnt. Ich finde sie gar nicht mehr so furchtbar wie früher. Die neuen Modelle sind ästhetisch auch ansprechender als die Modelle der ersten Generation. Das „türkise Plastik“, das Christian Kracht in „Faserland“ den ICE noch „körperlich unerträglich“ macht, ist aus den neuen ICEs weitestgehend verschwunden. Dennoch oder gerade deswegen wunderbar traurig und komisch las sich mir dieser Tage die Reminiszenz, die Christian Kracht dem Bahnfahren der Zeit vor dem ICE und der Deutschen Bahn AG widmet, in der man noch den Kopf aus dem Fenster halten konnte, die „Pisse von unter dem Zug nach oben“ wehte und in der Phantasie eines Kindes einen „Urinfilm“ auf dem Gesicht hinterließ, so dass man „beim mit der Zunge über die Lippen fahren“ „die Pisse von Fremden“ schmecken konnte.

Heute ist die Bahn keine Bundesbahn mehr, doch immer noch ein zu 100 Prozent im Besitz des Staates befindliches, privatrechtlich organisiertes Unternehmen. Zu öffnende Fenster gibt es in ICEs nicht mehr, eine Teilprivatisierung des Kapitals und ein Börsengang haben seltsamer Weise bis heute trotzdem nicht geklappt. Als sei Vater Staat nicht ganz wohl bei dem Gedanken, als verspüre er ein schlechtes Gewissen. Dabei würde er sich rein faktisch damit die Verantwortung vom Halse schaffen. Doch man hält sich stattdessen lieber weiterhin als Vodoopüppchen einen üppig dotierten Bahnvorstand, an dem der Zorn des Bürgers gut abprallen kann.

Wenn heute sowohl der größte Auftrag der Bahn aller Zeiten bekannt gegeben wurde, als auch die neueste Folge aus der Hauptstadt-Provinz-Schildbürgersaga „Geizhalsige Gieridioten“ veröffentlicht ist, sei darum somit erinnert, dass die Deutsche Bahn keineswegs nur vom Bahnvorstand regiert wird, sondern dass die Verarschung, die man uns (S)Bahnkunden antut, eine im Namen des Volkes ist. Wie der Kunde Bürger in den Augen der Verantwortlichen gesehen wird, kann man übrigens an der „Sorry, wir bauen, dauert auch nur ein halbes Jahr, und wir machen alles besser für Sie“- PR der Bahn ablesen: Der verarschte Kunde als Maulwurfschwein. Dass dies Realität ist, kann mir keiner mehr weismachen. Da läuft ein ganz gewaltiger Film ab, der so grotesk ist, dass man ihn nicht mehr fassen kann.

Schwein 1

Schwein 2


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