Florida-Rolf

„Das Kapital ging daran, die Gesellschaft bewußt und totalitär nach seinem Ebenbild umzuformen. Die Bundesrepublik sollte wie ein Unternehmen geführt, zur »Deutschland AG« zugerichtet werden. Alle Gesellschaftssphären – von der Bildung, über die Krankenversorgung, das Rentensystem, den Sozialstaat bis zur Familienpolitik – wurden einem gnadenlosen Kosten-Nutzen-Kalkül unterzogen. Ein totalitärer Ökonomismus strebte von da an die Eliminierung aller als Kostenfaktoren identifizierten Bereiche und Strukturen an, die die fetischisierte Wettbewerbsfähigkeit des »Wirtschaftsstandortes Deutschland« zu unterminieren schienen. In einer flankierenden jahrelangen Pressekampagne überbot sich die deutsche Journaille in der Identifizierung »verkrusteter Strukturen« und uneinsichtiger »Besitzstandswahrer«. Mit der Agenda 2010 wurde insbesondere die zügellose Hetze gegen Arbeitslose in den Massenmedien forciert und in der Öffentlichkeit etabliert. (…)

Den repressiven Kern der Agenda 2010 bildeten aber die Hartz-Arbeitsgesetze, die konsequenterweise von dem VW-Kapitalfunktionär Peter Hartz in Kooperation mit der Unternehmensberatung McKinsey ausgebrütet worden sind. (…)

Insbesondere die Hartz-Arbeitsgesetze stellen ein Unterwerfungssystem dar, das auf die Produktion und Untertanen, auf die Eliminierung aller Widerstandspotentiale der Lohnabhängigen und deren totale Entsolidarisierung abzielt. Den Marktextremismus der Agenda 2010 bringt wohl am besten das damals propagierte Ideal der »Ich-AG« zur Geltung: Wir alle hätten uns als die »Unternehmer unserer Selbst« zu betrachten, als in allseitiger Konkurrenz zueinander befindliche Marktatome, die nur noch nach der optimalen Verwertung ihrer Arbeitskraft zu streben haben. Ohne Übertreibung kann konstatiert werden, daß dieses extremistische Entrechtungs- und Kahlschlagprogramm die gesamte Bundesrepublik von Grund auf verändert hat. Die von Rot-Grün durchgesetzten »Reformen« bildeten den Abschied von der Ära der Nachkriegsprosperität in der BRD, einen Abschied von der Illusion einer »Zivilisierung« des Kapitalismus. (…)

Das abschreckende Beispiel der Entrechtung ihrer arbeitslosen Klassengenossen führte zu einer Entmachtung der noch »in Arbeit« befindlichen Lohnabhängigen, die so ziemlich alles mit sich widerstandslos machen ließen, um bloß nicht »abzustürzen«. Der Sadismus vieler Angestellter und Mittelschichtsangehöriger, der die hohen Zustimmungswerte zu vielen Repressionsmaßnahmen gegen die arbeitslosen »Schnorrer« ermöglichte, bekam so eine masochistische Komponente. Inzwischen werden die Lohnabhängigen in Deutschland buchstäblich in den Wahnsinn gehetzt, wie die extreme Zunahme von berufsbedingten psychischen Erkrankungen offenbart (…)

Diese irrsinnigen Tendenzen zur Arbeitshetze und Arbeitsverdichtung haben aber bekanntlich keine effektive Oppositionsbewegung entfacht, sondern sie tragen zu der Verfestigung eines »autoritären Kreislaufs« unter all jenen Lohnabhängigen bei, die sich eine Alternative zur kapitalistischen Dauerkrise nicht vorstellen können. Der Sozialpsychologe Oliver Decker hat diese Ökonomisierung autoritärer und rechter Ideologien, die von der Agenda 2010 befeuert wurde, folgendermaßen auf den Punkt gebracht: »Die ständige Orientierung auf wirtschaftliche Ziele – präziser: die Forderung nach Unterwerfung unter ihre Prämissen – verstärkt einen autoritären Kreislauf. Sie führt zu einer Identifikation mit der Ökonomie, wobei die Verzichtsforderungen zu ihren Gunsten in jene autoritäre Aggression münden, die sich gegen Schwächere Bahn bricht.«“

Tomasz Konicz: Gratulation, Schweinestaat!

Junge Welt, 14.03.2013


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