Verweigert die unmögliche Wahl

Nancy Fraser: Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus

„Die Doktrin des „kleineren Übels“ war nun allerdings wenig originell. Es war die gewohnheitsmäßig alle vier Jahre wieder aufgefrischte Entlastungsformel der US-Linken: Hohle Rede über liberale Werte und Verdrängung der eigenen Ziele – aus Angst vor dem jeweiligen Bush oder Trump. Während sie uns vor „dem Schlimmsten“ bewahren soll, düngt diese Strategie in Wirklichkeit den Boden, dem neue und immer gefährlichere Buhmänner entspringen, die dann neue Anlässe bieten, die eigenen Ziele zu vertagen – und so weiter und so fort, ein wahrer Teufelskreis. Glaubt denn irgendwer, eine Clinton-Regierung hätte sich mit der Wall Street und dem einen Prozent angelegt? Dass sie die populistische Wut gedämpft statt weiter angeheizt hätte? Der Zorn, der viele Trump-Anhänger erfüllt, ist ja durchaus begründet, auch wenn er sich derzeit – fehlgeleitet – großenteils gegen Immigranten und andere Sündenböcke richtet. Die angemessene Reaktion besteht nicht in moralischer Verdammung, sondern in politischer Überprüfung mit dem Ziel, dem berechtigten Zorn die Richtung zu weisen: gegen die systemischen Beutezüge des Finanzkapitals.

Hierin liegt auch die Antwort an jene, die uns jetzt drängen, mit den Neoliberalen zusammenzugehen, um den Faschismus abzuwehren. Für die Linke sollte stattdessen von jetzt an gelten: Verweigert die unmögliche Wahl zwischen progressivem Neoliberalismus und reaktionärem Populismus. Wir sollten nicht die Bedingungen akzeptieren, die uns von den politischen Klassen präsentiert werden, sondern uns schleunigst daran machen, sie umzudefinieren, indem wir den ungeheuren, ständig wachsenden Fundus an sozialem Ekel vor der bestehenden Ordnung erkennen und fruchtbar machen. Statt mit dem Bündnis aus Finanzialisierung und Emanzipation die sozialen Sicherungssysteme zu bekämpfen, sollten wir eine neue Allianz der Verfechter von Emanzipation und sozialer Sicherung gegen die Finanzialisierung schmieden.“


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