Freie Farcewirtschaft

Die Schlichtung von „Stuttgart 21“ (auf den Schlichtungswahnsinn wurde bereits verwiesen) ist vorbei, und die besondere Bedeutung des Ereignisses für die Demokratie im digitalen Zeitalter verlangt eine Bilanz. Vor der wie immer mit scharfen Seitenhieben gespickten Einführung von Heiner Geißler (man sehe auch den wunderbaren Ausschnitt „Geißler vs. Bitzer„) bei der Vorstellung der Stuttgart 21-Befürworter in der letzten Schlichtungsrunde (insbesondere gegenüber Bahnchef „Offenbarungseid“ Grube und Stuttgarts OB Schuster) vergaß der Kommentator des SWR doch glatt die einzige Frau der Gegenseite, Frau Dahlbender, Landesvorsitzende des BUND, vorzustellen. Dass sie neben Tanja „Rhetorikqueen“ Gönner die einzige Frau in der gesamten Veranstaltung war, erlaubt eine genderpolitische Anmerkung: Es wäre an der Zeit und interessant zu sehen, wie eine solche Aufführung bei weiblicher Mehrheit ausgesehen hätte. Der männliche Hauptdarsteller der Deutschen Bahn, der stets gut gelaunt scheinende Volker „Storyline“ Kefer („Sie hätten keinen besseren Mann schicken können“, so Geißler zu Grube) kam jedenfalls indessen bemerkenswerter Weise zu dem persönlichen Fazit, seinen „Grundwerten“ zwei weitere hinzufügen zu wollen, die er von „Lehrmeister“ Heiner Geißler in dieser Schlichtung gelernt habe: Demut und Beharrlichkeit. Man höre und staune: Demut. Eine Tugend, die unseren Führungseliten in der Tat völlig abhanden gekommen ist (falls sie sie je besaßen, wohl eher nicht). So sprach Herr Kefer in der Pressekonferenz kleinlaut wie ein Schuljunge von „Hausaufgaben“, die man nun erledigen müsse. Erstaunlich, dass es Politik und Bahn zumindest gestern noch gelungen ist, dies nicht als Offenbarungseid (was es ist), sondern als Erfolg zu verkaufen. Fazit: Das „bestgeplante“ Projekt der Bundesrepublik muss sich nach 15 Jahren Planungszeit und Planungskosten von Millionen im dreistelligen Bereich einem „Stresstest“ unterziehen. Das Hauptargument für „S-21“, dass der neue Bahnhof 30 Prozent leistungsfähiger als der alte sei, ist also unbewiesen und erscheint nach der Schlichtung stark zweifelhaft. Vielmehr ist mit zahlreichen „Nachbesserungen“ zu rechnen, die das Projekt erneut verteuern werden. Damit ist die Grundlage für die Entscheidung der Parlamente in keiner Weise mehr gegeben, und es mutet einer Farce an, dass man sich weiterhin auf Verträge, Rechtslage und Planfeststellungsbescheide berufen muss, um den Bau fortzusetzen. Dass ein Baustopp und Neuplanung angeblich mindestens eine Milliarde Euro kosten würde, also ein Viertel der momentan veranschlagten Gesamtkosten, obwohl erst ein winziger Bruchteil der Bauarbeiten ausgeführt sind, mutet aus betriebswirtschaftlicher Sicht ebenfalls unfassbar ineffizient an. Dass deshalb nun keine Wahl mehr bestünde (weil in der Tat natürlich eine Milliarde nicht für nichts ausgegeben werden sollte), beschreibt das Totalversagen bzw. die Totalverarschung, die sich Landesregierung, Bundesregierung und Deutsche Bahn in den letzten 15 Jahren geleistet haben. Das eigentliche Ergebnis, das diese „Faktenschlichtung“ erreicht hat oder erreichen wollte, wird dieser „Stresstest“ sein. Erst danach könnte man neu und sinnvoll (also im Sinne einer wirtschaftlichen und ökologisch-sozialen Kosten-Nutzen-Rechnung) entscheiden, wie eine sinnvolle Neuplanung des „Bahnknoten Stuttgart“ aussehen könnte. Dass sich Herr Mappus nicht entblöden ließ und gestern in den Tagesthemen erneut das zuvor von Heiner Geißler persönlich beerdigte Propagandaargument der „Magistrale“ zu nennen wagte, bildet vorerst den Abschluss einer Farce aller erster Güte, für deren Aufführung der Autor allen beteiligten Darstellern danken möchte.


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