Debtocracy

Reinhard Jellen: Die Macht der Rating-Agenturen. Interview mit Werner Rügemer

Telepolis, 29.5.2015

Die beiden größten Agenturen Standard & Poor’s und Moody’s gehören einer Reihe von Hedgefonds: Capital Group, Blackrock, Vanguard, State Street, T. Rowe Price. (…) Hedgefonds, die nicht staatlich beaufsichtigt werden, sind heute die eigentlich Mächtigen in der Finanzindustrie. Um beim Miteigentümer von Standard & Poor’s und Moody’s, Blackrock zu bleiben: Dieser Hedgefond ist gleichzeitig der größte Aktionär der Deutschen Bank, er ist Miteigentümer aller 30 deutschen DAX-Konzerne und natürlich Miteigentümer der wichtigsten US-Unternehmen undsoweiter. Große Banken wie die Deutsche Bank, United Bank of Switzerland (UBS) und Goldman Sachs, den heute die kritische Aufmerksamkeit gilt, sind in Wirklichkeit nur noch zweite Liga; oder man könnte sie auch als Vorfeldunternehmen der Hedgefonds bezeichnen. So gehören die Rating-Agenturen zum Kern der heutigen Kapitalmacht. (…)

Wie treffsicher sind überhaupt die Ratings der Agenturen?

Werner Rügemer: Sie sind in der Regel sehr treffsicher, wenn man von den Interessen der Eigentümer der Agenturen und der Finanzindustrie ausgeht. Diese Interessen bestehen darin, dass die Kreditnehmer, beispielsweise Staaten, sich möglichst umfangreich und langfristig verschulden. Denn für die Kreditgeber gibt es kein besseres Geschäft. Das ist besonders in den sogenannten Krisen der Fall, wenn die Zinsen, von den Ratings „beflügelt“, immer höher steigen. (…)

Die Interessen des Kreditgebers werden bekanntlich durchgesetzt, koste es was es wolle, ob also beispielsweise ein Unternehmen, ein Staat, ein Konsument in den ökonomischen Ruin getrieben wird, ob eine Volkswirtschaft ruiniert wird, ob Arbeitslosigkeit und Armut entstehen. Die Agenturen, ihre Eigentümer und Auftraggeber halten sich, wenn es darauf ankommt, weder an nationale Verfassungen, an demokratische Prozeduren, an soziale und Arbeits- und Menschenrechte. Ich verwende wie andere Autoren dafür den Begriff „Debtocracy“: Nach den Kriterien der Agenturen wird die Kreditrückzahlung notfalls auch mit Enteignung (Enteignung von sozialen Ansprüchen, z.B. von Renten und Einkommen; Privatisierung…) und autoritären, antidemokratischen Mitteln durchgesetzt. (…)

In den Jahren 1999 bis 2001 half die US-Investmentbank durch diverse Tricks der griechischen Zentralbank, die hohen griechischen Staatsschulden auf das Maß herunterzudrücken, das den Maastricht-Kriterien entsprach und deshalb Griechenland in die Eurozone aufgenommen werden konnte. Dabei wurden beispielsweise die Gebühren des Flughafens Athen der nächsten 30 Jahre verkauft – so kam kurzfristig Geld in die Staatskasse. Dass damit aber langfristig eine Einnahmequelle trockengelegt wurde, interessierte damals weder die EU noch die griechische Regierung noch die Kreditgeber. Denn auf dieser getricksten Grundlage gaben die Agenturen Griechenland in den Folgejahren gute Noten und die Kredite von Deutscher Bank, Société Générale und Goldman Sachs flossen nach Griechenland. Auch die traditionelle Steuerflucht der griechischen Eliten ließ man weiterlaufen. Gleichzeitig ließ man die weit über dem EU-Durchschnitt liegenden Rüstungskäufe der korrupten griechischen Regierungen nicht nur zu, sondern förderte sie. Dass das nach wenigen Jahren zu einer erneuten hohen Verschuldung führen musste, war jedem klar. Erst im letzten Moment schalteten die Agenturen um und vergaben ab 2010 plötzlich schlechte Noten. Die Zinsen stiegen, die Kreditgeber freuten sich. Die von den Agenturen routinemäßig auch vorgeschlagenen „Spar“maßnahmen eröffnen den Finanzakteuren und Konzernen neue Geschäftsfelder: Aufkauf öffentlicher Unternehmen zum Schnäppchenpreis und ähnliches.“


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