Paradoxa des Kapitalismus 1

Tomasz Konicz: Wer ist schuld am Krisenausbruch? Niemand trägt die Schuld an der Krise. Krise des Kapitalismus – Teil 2

„Im Kapitalismus dreht sich bekanntlich alles um eine möglichst effektive Vermehrung – auch Verwertung genannt – des eingesetzten Kapitals. Das Kapital ist wiederum ein soziales Verhältnis, das Menschen einzugehen genötigt sind, und bei dem durch die möglichst effiziente Anwendung von Lohnarbeit in der Warenproduktion aus Geld mehr Geld gemacht wird. Deswegen wird der Kapitalismus auch völlig zutreffend als Arbeitsgesellschaft bezeichnet. Dieses auf der Verwertung menschlicher Arbeitskraft basierende Kapitalverhältnis befindet sich somit in einer fundamentalen Krise, weil die daran beteiligten Akteure diesen gesellschaftlichen Prozess der Kapitalverwertung immer effizienter gestalten. (…)

Die kapitalistische Arbeitsgesellschaft befindet sich somit in einem permanenten Selbstwiderspruch, bei dem die möglichst effiziente Anwendung von Lohnarbeit zugleich die Lohnarbeit aus der Warenproduktion verdrängt. Dieser Selbstwiderspruch der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft ist nur im „Prozessieren“ – in permanenter „Flucht nach vorn“ – aufrechtzuerhalten: Neue Produkte und Wirtschaftszweige müssen in diesem als Strukturwandel bezeichneten Prozess neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die freigesetzten Arbeitskräfte schaffen. (…)

Spätestens seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts funktioniert dieser Strukturwandel nicht mehr, da die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung des Computers und der elektronischen Datenverarbeitung ungeheure Rationalisierungsschübe entfesselte, die Lohnarbeit innerhalb der Warenherstellung immer weiter überflüssig machte. Der Arbeitsgesellschaft geht somit die Arbeit aus, gerade weil alle Beteiligten unter Anwendung neuster Technologien immer effizienter arbeiten (…)

Die enorme Expansion des Finanzsektors seit den 80er Jahren bildete eine zeitweilige Fluchtmöglichkeit vor der Krise der Arbeitsgesellschaft, da die damit einhergehenden Verschuldungsorgien und Spekulationsexzesse auch zusätzliche Nachfrage und Arbeitsgelegenheiten erzeugten. (…)

Aus dieser Krisenkonstellation eines spätkapitalistischen Systems, das aufgrund ungeheurer Produktivitätsschübe ohne Verschuldung nicht mehr funktionsfähig ist, resultiert auch der zutiefst absurde Charakter des gegenwärtigen Krisenverlaufs: Es herrscht immer größeres Elend, gerade weil immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit durch immer weniger Arbeitskräfte hergestellt werden können. Das System erstickt an seiner Produktivität. Dieser irrsinnige Widerspruch wird überall dort deutlich, wo Güter und Waren vernichtet werden, für die keine marktvermittelte Nachfrage mehr gegeben ist, obwohl immer mehr Menschen ihre diesbezüglichen Bedürfnisse nicht mehr decken können. Die im Zuge der Spekulationsexzesse errichteten Eigenheime werden beispielsweise immer öfter einfach abgerissen, obwohl die Zahl der Obdachlosen in den USA oder Spanien krisenbedingt ansteigt.“

 


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